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Monobob


Die Grateful Dead haben sich angeblich nach einem Lexikoneintrag benannt, den Jerry Garciazufällig aufgeschlagen haben soll. Dichtung oder Wahrheit, die Geschichte klingt so glaubwürdig, als würden Maryvonne Porwol und Markus Rhein, Karen und Stefan Afeldt darauf bestehen, der Name ihrer Band sei von Bedeutung in keinster Weise infiziert. Bob Dylan, zu dessen seriösen Verehrern die Labeleigner Thomas und Markus Rhein zweifelsohne zählen, veröffentlichte seine ersten acht Platten parallel sowohl in Einkanal- als auch in Zweikanaltechnik, sie waren allerdings Geschöpfe der Monophonie. Noch heißer ist freilich, wie apart, eine Spur in die Welt des Wintersports: Während Vierer- und Zweierbobs sich seit 1924 bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen messen, ist der Monobob ein Phänomen der Gegenwart – und eine veritable Metapher, genauer: Metonymie, für den Verfall und das Ende des öffentlichen Lebens, die Vereinzelung, Singularisierung, Monofizierung des Menschen unter den Bedingungen des globalen Neoliberalismus, der grassierenden Postdemokratie und angesichts des Advents der säkularen Apokalypse. Wie Fahrten im Monobob enden können, erahne man sichtend die Label des namenlosen Erstlings – jede Karre ein unheilschwangeres Einzelmobil.

Der Himmel voller Chemtrails: In mannigfachen Kulturformen – vom Chor der antiken Tragödie über das bürgerliche Kunstlied und die brechtweillsche Verfremdung bis zum Post-Punk-Freak-Folk – und kaleidoskopischen Stimmungen – vom verstimmt verstummenden Entsetzen über die gefasst-fassungslose Wut und die verstört-verstörende Trauer bis zur zwar unmöglichen, aber doch zart keimenden Hoffnung – singen und spielen Monobob Variationen zum Thema, weshalb, wieso, warum der Mensch das zum Denken fähige, aber unwillige Tier ist; ob und wie man den final sich schließenden Maschen der Macht doch noch einen Haken schlagen kann; und überhaupt: wie das alles weitergehen soll. Monobob geben dem Entsetzen Ausdruck, das jeden beschleichen muss, der noch Tassen im Schrank hat, angesichts dessen, was vor unser aller Augen vor sich geht, angesichts der himmelweiten Überbietung des Kafkaesken, Absurden und Surrealen durch die Realität. Monobob ist folglich Musik zur Zeit, gleichsam ihre geschichtsphilosophische Verdichtung im Sinne Walter Benjamins, dessen Angelus Novus (Paul Klee) rückwärts und mit ausgebreiteten Flügeln von einem vom Paradies her wehenden Sturm von der Vergangenheit in die Zukunft getrieben wird und vor dessen Augen sich unaufhörlich Trümmer auf Trümmer türmt. Das, was wir Monobob nennen, ist dieser Engel der Geschichte.

Text: Jens Dreisbach